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Wundertätige Rosenkreuzer

Den Anlaß zu den verschiedenen Legenden über die Rosenkreuzer, die im Laufe der Jahrhunderte entstanden sind, lieferten die rosenkreuzerischen Manifeste selbst, indem sie der dort beschriebenen Bruderschaft erstaunliche Fähigkeiten nachsagten. Daß diese Schilderungen oft für die reine Wahrheit angesehen wurden und noch weitere Ausschmückungen erhielten, belegt u. a. die Erzählung von dem leibhaftigen Auftreten eines der gesuchten Brüder in Wetzlar. Unter den frühen Antwortschriften auf die Rosenkreuzermanifeste befand sich auch ein von Georg Molther aus dem Lateinischen übersetzter Traktat mit dem Titel ,Antwort Der Hochwürdigen und Hocherleuchteten Brüderschafft deß Rosen-Creuzes".1 Will-Erich Peuckert, der sich intensiv mit dem alten Rosenkreuzertum beschäftigt hat,2 gibt in seinem Buch ,Von schwarzer und weißer Magie" Molthers Mitteilung wider. Demnach kam 1615 ein Fremder nach Wetzlar, der durch spektakuläre Heilungen mittels ,unansehlicher Kräuter" und seine für einen Landstreicher ungewöhnliche Gelehrsamkeit und Beredsamkeit Aufsehen erregte. Molther berichtet:

,Als ich nun zu ihm kam und ihn gegrüßt hatte, redete er mich an mit etlichen fremden Sprachen, fragte, ob ich dieselben verstünde, bekannte öffentlich, daß er aller Völker Sprachen könnte, jedoch gebrauchte er meistenteils um der Anwesenden willen unsre deutsche Muttersprache. Ganz deutlich bekannte er, daß er der dritte in der Ordnung der Fratrum R. C. wäre und daß noch zwei von der Fraternität in fast gleichem Grade sich in derselben Gegend aufhielten. Er [den Molther zuvor auf etwa 40 Jahre geschätzt hatte] wäre zuvor ein Mönch gewesen und jetzund 81 Jahre alt, hatte keine Mangel an den Zähnen, wie er dieselbigen noch alle frisch und vollkommen zeigte."3

Nicht nur die medizinischen Kenntnisse und die eigene Gesundheit sind für die Beschreibung des Rosenkreuzers von Belang, sondern auch seine Bibelkenntnisse.

,Was ihm nur ungefähr für Sprüche aus der heiligen Schrift vorkamen, die legte er alsobald ohne Sturz oder großes Nachdenken aufs zierlichste aus; welche Zeugnisse er auch zum Beweis der Kräfte aller Dinge sehr gebrauchte. Er zog dieselben aus ihren Orten recht an, konnte sie von Wort zu Wort auswendig, also daß er in der Bibel sehr wohl belesen sein mußte. Man konnte auch im geringsten an ihm nichts spüren, was ketzerisch gewesen wäre oder mit dem göttlichen Wort nicht überein gestimmt hätte. Und weil eine besondere Andacht bei ihm gespürt wurde, konnte man ihn in keinem Verdacht göttlicher Schwarzkunst oder betrügerischer Verblendung halten."4

Dabei sind es vor allem praktische und auch der normalen Bevölkerung einleuchtende Künste, die von ihm berichtet werden. So konnte er das Wetter voraussagen, wußte für zahlreiche Krankheiten die passenden Heilmittel, ,wie man die Mäuse mit einer Peitsche aus dem Hause jagen möge; wie man die Maulwürfe aus den Feldgütern verbannen soll; was die Fische von fern herbeilocke, daß sie sich in Menge herbeimachen und sich gern fangen lassen; wie man einen Schuß nach einem gewissen Ziel tun könne; wie man das Donnerwetter solle abwenden und vertreiben; und durch eines geringen Kräutleins Kraft, wie er sagte, könnte das zuwege gebracht werden." Wo verborgene Schätze liegen und wie sie zu erlangen seien wußte er ebenso wie was in der zuletzt vergangenen Nacht an einem anderen Ort geschehen war. ,Und daß ichs kurz fasse, es schien, als ob er der ganzen Natur kundig oder teilhaftig wäre."5 Dieses Beispiel zeigt anschaulich, wie die Erwartungen, welche die Manifeste geweckt hatten, mit eigenen Wunschvorstellungen angereichert werden konnten.

Zwar weniger konkret, aber doch nicht weniger wundersam und den seltenen Brüdern übermenschlich viel zutrauend ist die Sicht des Autors esoterischer Bücher Wladimir Lindenberg auf die Rosenkreuzer. In seinem Buch ,Riten und Stufen der Einweihung" hat er das 5. Kapitel den Rosenkreuzern gewidmet und berichtet seinen Lesern an dieser Stelle erstaunliche Dinge. Bereits im ersten Satz erfahren wir, daß der ,geheime mystische Orden der Rosenkreuzer" sowohl die Geheimnisse des heiligen Grals als auch die der Smaragdtafel des ägyptischen Gottes Hermes Trismegistos hütet. Die von Lindenberg dargebotene Geschichte des Rosenkreuzertums ist ein Auszug aus H. Spencer Lewis' , Rosicrucian questions, answers and complete history " - entsprechend abenteuerlich fällt sie aus, ohne Anhalt an den historischen Gegebenheiten oder wenigstens an der Fama Fraternitatis. Im achten Jahrhundert seien demnach Pilger im Heiligen Land einer Bruderschaft von Eingeweihten begegnet, wovon sie nach ihrer Rückkehr dem Philosophen Arnaud in Toulouse berichteten. Dieser habe dann nach eigenen Kontakten mit jener Bruderschaft 804 in Toulouse die erste Rosenkreuzerloge gegründet. Lindenberg berichtet auch die Legende, nach der ein verirrter aragonischer Ritter im Himmel ,das manichäische Zeichen, die Rose über dem Kreuz" gesehen hätte, das ihn auf den Weg zurückführte, woraufhin dieser ein Kloster und eine Bruderschaft vom Rosenkreuz gegründet habe.

Überaus interessant ist nun, was Lindenberg über die Bräuche und die Fähigkeiten der Rosenkreuzer zu berichten weiß.

,Die Rosenkreuzer wurden in den Orden gewählt, wie der junge Dalai Lama als Baby aus einer Familie gewählt wurde. Ihr Training des Gedächtnisses, ihre assoziativen und imaginativen Fähigkeiten überstiegen alle übliche Gehirnleistung der Menschen, ebenfalls entwickelten sie durch Askese und Meditation im hohen Maße die Fähigkeit zur ,Endura` der Katharer."6

Lindenberg erwähnt die indische Vorstellung von ,Avatars", die sich von der Kette der Inkarnationen losgelöst haben, doch ,statt in das Nirvana, in die Wesenheit Gottes einzugehen, sich in der Welt als Gottessöhne, wie Christus oder Buddha, zur Erlösung der Welt wiederverkörpern." Weiter schreibt er:

,Die geheimen Rosenkreuzer gehören oder gehörten zu diesen Vollendeten. Alles, was ein Mensch auf psychophysischem Gebiet zu erreichen vermochte, alles das, was wir heute mit Parapsychologie bezeichnen und erforschen: die Gabe der Gedankenübertragung, des Hellsehens, der Levitation, des magnetischen Heilens, der Psychokinese - das hatten sie wie die frühen Schamanen, wie die Katharer, die Yogis, die Sufis in sich verwirklicht, und sie trachteten danach, diese Gaben ausschließlich zum Wohl der Welt zu benutzen."7

Die Gleichsetzung mit ,Avatars" hebt die Rosenkreuzer auf eine hohe Sphäre und setzt sie praktisch mit Buddha oder Christus gleich. Doch wird diese Konsequenz offenbar nicht direkt gezogen, denn bereits im nächsten Satz erscheinen die Rosenkreuzer in einer Reihe mit Katharern, Yogis und Sufis, ohne daß all jenen in gleicher Weise der Zustand eines Avatar zugestanden würde. Auch die genannten besonderen Fähigkeiten der Rosenkreuzer sind keine göttlichen, sondern gehen - trotz ihrer Wunderhaftigkeit - von Menschen aus und scheinen einen Zielpunkt des Menschenmöglichen zu beschreiben:

,Zunächst besaßen die Brüder vom Rosenkreuz ein umfassendes Wissen. Ähnlich den keltischen Druiden und Barden hatten sie ihr Gedächtnis trainiert, ebenso ihre Imaginationsfähigkeit. Sie konnten sich jedes gesehene Objekt, ein beschriebenes Blatt Papier, ein Portrait, bildhaft vorstellen. Sie haben die Fähigkeit, aus ihrem Körper auszutreten, wie es von Menschen erzählt wird, die scheintot waren und sich über ihrem Körper schweben sahen. Sie sind mit der Anderwelt und ihren Sphären und den Genien, die dort wirken, vertraut. Sie leben also zwischen bzw. in den beiden Welten. In ihren von der Umwelt streng abgeschirmten Gemeinschaften studieren sie die heiligen Schriften, sie ergründen die Einflüsse der Gestirne auf die Schicksale der Menschen, sie forschen nach den Geheimnissen der Pflanzen und ihren Gift- oder Heilwirkungen. Die Alchymie, die Mutter der Chemie, ist ihnen ein Mittel, um in die Geheimnisse der Natur einzudringen. Aber die alchymistischen Formeln sind zugleich auch verschlüsselte Einweihungswege. Es ist ein Traum der Menschheit, aus unedlen Metallen Gold machen zu können. Hier jedoch geht es um das Gold der Person, um die Vervollkommnung des Menschen und seinen Weg zu Gott. Das ist jedenfalls derhöchste Sinn der Alchymie, wie die Rosenkreuzer sie auffaßten."8

Insgesamt erscheint die Darstellung Lindenbergs wie ein Sammelbecken von Versatzstücken aus den verschiedensten esoterischen Kontexten ohne ein klares inneres Konzept, wie diese Brocken zusammenzufügen seien. In dieser Art ist das Buch aber nicht einfach schlecht geschrieben, sondern charakteristischer Ausdruck für eine bestimmte Art esoterischen Lebensgefühls. Der innere Zwang, alles in ein klares, in sich geordnetes und möglichst widerspruchsfreies Gedankengebäude einzufügen, besteht dort vielfach nicht. Darum erscheint meist eine Prüfung entbehrlich, welche Bestandteile des Traditionsgutes überhaupt miteinander Kompatibel sind und ob das Gesamtbild Plausibilität beanspruchen kann. Auf solche Weise können schnell gewaltige ,Legendentürme" aufwachsen, die nur noch sehr wenig realen Hintergrund aufweisen, wie man es an dieser Darstellung des Rosenkreuzertums ersehen kann.

Ein Beispiel für einen ähnlichen unkritischen Umgang mit der Tradition liefert Bernhard Vaillant in seiner Schrift ,Westliche Einweihungslehren. Die Lehren der abendländischen Weisheit; Druiden, Gral, Templer, Katharer, Rosenkreuzer, Freimaurer, Alchimisten". Darin behandelt Vaillant die Rosenkreuzer nach Templern und Freimaurern und weiß von ihnen zu berichten, sie hätten ,so gut sie konnten ihre Kenntnisse über die Verwandlung der Metalle und die Kunst der Verlängerung des Lebens sowie ihre außersinnliche Wahrnehmung verborgener Dinge bei dem Versuch benutzt, Staaten und Menschen zu erneuern."9 So ehrenwert und selbstlos diese Absicht klingt, steckt dahinter doch die bereits mehrfach vernommene These einer geheimen Einflußnahme auf Politik und Regierung, die von den verschiedensten Verschwörungstheorien gern aufgenommen und zur Vorstellung einer geheimen Weltregierung ausgebaut wird. Die weitere Schilderung der Inhalte und Absichten der Rosenkreuzer bei Vaillant entspricht den Lehren des AMORC, den der Verfasser offensichtlich bevorzugt und von ihm annimmt, ,daß er am ehesten im Sinne des Guten zu wirken scheint".10


1. ,Antwort Der Hochwürdigen und Hocherleuchteten Brüderschafft deß Rosen-Creuzes / auff etzlicher an sie ergangene schreiben / darinnen klar und eygendlich angezeigt und berichtet wird / wie und welcher gestalt diejenigen so sich zu derselben zubegeben willens / sich zuverhalten / und durch was Weg und Mittel sie darzu kommen und gelangen mögen. Sampt einer warhafftigen Histori / so sich in der Käyserlichen Reich Stadt Wetzlar zugetragen. Erstlich in Lateinischer Sprach beschrieben / Durch D. Georgium Moltherum Jetzo aber verdeudscht. Gedruckt Im Jahr / 1617."

2. Vgl. seine umfangreichen Abhandlungen zu den Anfängen des Rosenkreuzertums, ,Die Rosenkreutzer" (Jena 1928) und das dreibändige Werk ,Pansophie. Ein Versuch zur Geschichte der weißen und schwarzen Magie" (Berlin 1956).

3. Peuckert, Will-Erich: Von schwarzer und weißer Magie. Berichte aus einem vergessenen Jahrhundert, Berlin o. J., 131.

4. Ebd.

5. Peuckert: Von schwarzer und weißer Magie, 134.

6. Lindenberg, Wladimir: Riten und Stufen der Einweihung. Schamanen, Druiden, Yogis, Mystiker, Starzen - Mittler zur Anderwelt, Freiburg i. Br. 1978, 74.

7. Lindenberg: Riten, 74 f.

8. Lindenberg: Riten, 77.

9. Vaillant, Bernard: Westliche Einweihungslehren. Die Lehren der abendländischen Weisheit. Druiden, Gral, Templer, Katharer, Rosenkreuzer, Freimaurer, Alchimisten, München 1992, 116.

10. Vaillant: Westliche Einweihungslehren, 128.


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